Hermann Cohen über Humor in der Religion

On 20/06/2013 16:44, Hans Martin Dober wrote:

Lieber Herr Poma,

erst einmal tut es mir leid, dass ich Ihnen auf Deutsch schreibe – auf Englisch ginge vielleicht auch – , aber mein Italienisch reicht leider nur so weit, um gut essen zu gehen und den Wein auszuwählen, der dazu passt. Aber ich möchte Ihnen auf den Aufsatz antworten, den mir freundlicherweise Herr Munk im Kontext Ihres großen, monographischen Werkes zu Cohen hat zukommen lassen. In der Tat hatte ich diesen Text vor Jahren schon in der Fassung gelesen, die die Tagung von 1996 in Jerusalem dokumentiert. Und ich war darauf schon einmal zurück gekommen, als ich über den Humor und das befreiende Lachen als eine Umgangsform mit Krankheit und Leid nachgedacht hatte, dort in einer der letzten Anmerkungen („Wie kann man über sein Leiden lachen?“ Artikelnachweis: http://www.theomag.de/72/hmd01.htm © Hans Martin Dober, 2011).

Sie haben in systematischer Interpretation des Gesamtwerkes von Cohen die Grundlagen gelegt, auf denen dann – wie Sie selbst am Ende schreiben – einzelne Fragestellungen weiter bearbeitet werden können, die sich zum Verhältnis von Witz, Komik, Lachen, Humor auf der einen Seite und Gebet bzw. Zufriedenheit, wie sie aus dem religiösen Verhältnis hervorgehen, auf der anderen ergeben. Die Perspektive, die noch hinzugefügt werden müsste, sich aber bei Cohen nicht ausgearbeitet findet, ist die psychologische. Was geschieht psychisch, wenn Menschen lachen – oder (im Falle des Humors) lächeln? Und aus welchen seelischen Quellen speist sich das hohe Gut des Humors, das auch von Freud auf der höchsten Stufe seiner Untersuchung zu den anderen Formen vorkommt (vgl. Freud, Studienausgabe Bd. IV, 9-219, hier: 212ff. [Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussen (1905)])?

Wie gesagt: Ich stimme Ihrer Darstellung Cohens durchweg zu. Insbesondere gefällt es mir sehr gut, wie Sie die Leitfrage nach der Realisierung des Ideals durch das historisch konkrete Individuum als roten Faden gewählt haben, um an ihm die Entwicklung der Frage nach dem Humor in der Ästhetik und dann schließlich in der Religionsphilosophie durchzuführen. Es überzeugt mich ganz, dass sowohl der Humor als auch die Religion (und hier wohl in der Tat vor allem das Gebet) als Wegbereiter für den Frieden bzw. die Zufriedenheit verstanden werden können. Ähnliches habe ich in Zürich auch gesagt, so weit mir diese Ähnlichkeit zuzutreffen scheint. Schön ist es schließlich auch zu sehen, dass Sie in Ihrem älteren Text schon die Thematik der Zürcher Tagung bearbeitet haben. Das ist vor allem an den Stellen offensichtlich, an denen Sie vom „denial and complete elimination of hatred“ sprechen.

Nun aber zu der Fragestellung, die ich in Zürich bearbeitet habe, und die – vielleicht – im Verhältnis von Humor und Gebet die Akzente anders zu setzen nötigt, als ich Sie am Ende Ihres Textes gesetzt gefunden habe. Sie schreiben: „Peace is religious power, whose asthetic expression is humour.” Auch dem stimme ich gern zu (vgl. RV, 530: „Der Friede des Juden erhielt ihm immer den ästhetischen Humor.“). Die Fähigkeit zum Humor, die sich bekanntlich nicht in jedem Menschen gleichermaßen findet, würde sich also nähren aus einer Quelle, die auch die Kunst braucht. Das ist freilich eine voraussetzungsvolle These, die sich problematisieren ließe. Im Ausgang von Cohens Spätwerk ist sie gut belegbar (wie Sie gezeigt haben).

Wenn man sie aber mit den psychologischen Arbeiten Freuds zum Humor konfrontiert, wie ich das in Zürich versucht habe (und das scheint mir methodisch legitim, weil Freud die Lücke einer psychologischen Erklärung des Humors gefüllt hat, die bei Cohen offen geblieben ist), könnte man mit einer bescheideneren Voraussetzung arbeiten: Der Humor, der sich in den Werken der Kunst dargestellt findet, und dem man im Gespräch mit anderen Menschen begegnen kann, setzt eine bestimmte Fähigkeit des Ichs voraus – mit den Mitteln des Humors der (narzisstischen) Kränkungen Herr zu werden, die sonst die Seele weiter belasten würden. Der Vergleichspunkt zwischen Cohen und Freud wäre: Es kommt auf die Stärke des Ichs an. „Das Großartige [des Humors] liegt offenbar im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind ... Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig …“ (Freud, Der Humor [1927], in: Studienausgabe IV, 278). Zugleich vermittelt der Humor zwischen der psychischen Instanz, die das Ideal repräsentiert, und der (frustrierenden) Erfahrung, dass die Verwirklichung auf sich warten lässt. Die Differenz zwischen Cohen und Freud besteht aber (außer manch anderen Differenzpunkten, die man nennen müsste) darin, dass Freud diese Stärkung einer psychoanalytisch aufgeklärten Lebenserfahrung gutschreiben würde, während Cohen im Gebet die Quelle dieser Stärkung erblickt.

Ein nachträglich inszeniertes Gespräch zwischen Cohen und Freud, das – wie gesagt um der Klärung von Sachfragen willen seinen Sinn und Zweck gewinnen kann – , würde nun (über eine immanente Cohen-Interpretation hinaus) der Frage nach der spezifischen Bedeutung und Funktion der Religion zugute kommen. Eben das war mein Bemühen in Zürich. Gesetzt, das gegenwärtige Bewusstsein könne mit dem Gebet weniger anfangen als mit dem Humor, und gesetzt weiterhin, man versuchte, funktionale Äquivalenzen in diesem Verhältnis zu finden (wozu es Analogien in der Religionstheorie gibt, die sich von Max Weber ableitet), so stellt sich mir die Frage: Wie weit sind Gebet und Humor vergleichbar? Und wo liegt die Grenze, über die hinaus der Humor keine Befriedung der Seele zuwege bringen kann?

In Ihrem Text ist diese Grenze am Ende angesprochen: es ist der Tod, und vorher noch ist es der Umgang mit Krankheit und Leid. Zwischen diesen dreien muss man freilich unterscheiden. Es gibt Beispiele von Menschen, die über ihre Krankheit Witze zu machen und zu lachen vermochten, oder die sich humorvoll über ihre desolate Situation hinweg setzten. Ist das auch im Angesicht des Todes noch möglich? Bekannt ist der Witz Epikurs „Wo der Tod ist, bin ich nicht, und wo ich bin, ist der Tod nicht“. Doch wer so spricht, ahnt das Angesicht des Todes höchstens von ferne. Das ist nicht im Sterben gesagt, weil das Ich sich hier loslassen muss, das im Witz auf sich selbst beharrt. Mein Vertrauen ist – und es ist ein durch manche Sterbebegleitung gestärktes Vertrauen – , dass das Gebet demgegenüber in der Stunde des Todes mehr vermag als der Humor, der eben hier seine Grenze findet.

So viel als eine erste Antwort auf Ihren schönen Text „Humour in Religion: Peace and Contentment“ und als Fortführung des kurzen Gespräches, das wir in Zürich hatten. Was ich vielleicht zu kurz nur angesprochen hatte, und was Sie – m.E. vollkommen zutreffend – ausführen, ist die Integration des (ästhetischen) Humors in das religiöse Leben, womit Sie einem Satz Cohens selbst widersprochen haben: „Religion has no humour“ (ÄrG I, 333f.). Zum Glück für die Religion lässt sich diesem apodiktischen Satz mit den Gründen, die Sie dargelegt haben, aus Cohen selbst widersprechen, wie Sie schreiben: „The lesson from humour … wholly enters religious contentment.“

Für heute bin ich mit herzlichen Grüßen

Ihr Hans Martin Dober

p.s. Herr Munk hat mich angeregt, evtl. etwas über das Gespräch schreiben, das zwischen unseren beiden unterschiedlichen - doch auch nahen - Bemühungen um eine bessere Klärung des Verhältnisses von Ethik, Ästhetik und Religion am Beispiel des Humors noch weiterzuführen wäre. Ich lasse ihm deshalb eine Kopie dieses Briefes zukommen, Ihr Einverständnis dazu voraussetzend.

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On 26-06-2013 Andrea Poma wrote:

Lieber Herr Dober,

Ich danke Ihnen sehr für die Achtung, die Sie unserem kurzen
Ideenwechsel über Humor und Gebet in Zürich gegeben haben, und für Ihre
aufmerksame Lektüre meines Essays über Humor in der Religion und Ihre
klugen Anmerkungen. Ich hörte mit dem tiefsten Interesse Ihren Vortrag
in Zürich, und mit noch grösserem Interesse habe ich Ihre Anmerkungen
gelesen.
Ich bin sehr mit Ihnen einverstanden: es gibt in Cohen keine
entwickelte psychologische Analyse des Gebets, noch des Humors. Auch die Begriffe “Vertrauen” und “Zuversicht”, die sehr wichtig in seiner
Analyse der Gebets sind (cf. mein Essay über Lyric, Poetry and Prayer),
die er psychologisch nennt, sind Begriffe einer Rede, die sehr wohl
“psychologisch” ist, aber in einem philosophischen und ethischen Sinn:
einer Psychologie der Seele.
Ihr Versuch eines ideellen Vergleichs zwischen Cohen und Freud ist anregend. Es ist aber schwierig einen solchen Vergleich zwischen so
verschiedenen Niveaus zu ziehen: dem psychanalytischen Niveau von Freud
und dem philosophischen Niveau von Cohen. Um meinen anfänglichen Beitrag zur gemeinsamen Reflexion zu stellen, die Sie vorschlagen, möchte ich Sie aufordern, richtig zu verstehen und genau zu definieren, was Cohen und Freud unter dem Titel “Humor” verstehen. Ich meine, daß es nicht derselbe Begriff sein könnte, und daß vielleicht die Unterschiede tiefere und wichtigere sein könnten als man zuerst denken würde.
Ich bin sicher kein guter Kenner der Theorie von Freud und so vertraue ich ihrer Kenntnis um eine Bestätigung meiner Reflexionen zu haben. Meiner Meinung nach gibt es in dem Buch von Freud über den Witz (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten) und in seinem späteren Artikel (Humor) viele Stellen, in denen er den Humor als Ironie zu verstehen scheint. Als Beispiel: das Kapitel des Buches über den tendenziösen Witz (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Kap. III) oder die Definition des Komischen als Erniedrigung des Erhabenen (cf. Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Kap. 7, § 2), oder, im Artikel über den Humor, solche Urteile: “die Hauptsache ist die Absicht, welche der Humor ausführt, ob er sich nun an der eigenen oder an fremdenPersonen betätigt. Er will sagen: Sihe’her, das ist nun die Welt, die so gefährlich aussicht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu machen!”.
Wenn diese die Bedeutung ist, in der Freud den Humor versteht, dann glaube ich, dass es der romantischen Ironie, in Cohenschem Sinne, näher ist. Aber diese Ironie ist nach Cohen das Gegenteil vom Humor. Beide, Humor und Ironie, sind nach Cohen korrelativ zum Erhabenen, daß heißt zum Streben nach Unendlichem, aber die Ironie ist die korrelative
Verachtung des Endlichen, weil dieses, vor dem Unendlichen, zu dem man
strebt, unzureichend ist; der Humor, im Gegenteil, besteht in der Liebe
für das Endliche als unvolkommene aber tatsächliche Verwirklichung des
Unendlichen.
Wenn dieser meiner Eindruck nicht falsch ist, dann würde es schwer sein, einen Vergleich zwischen diesen zwei Denkern über dieses Thema zu ziehen. Und auch ein Vergleich über das Thema des Gebetes wäre schwer, weil “Katharsis” und “Trost” psychologische Begriffe sind (oder
mindestens auch so verstanden werden können), aber “Zuversicht” und
“Vertrauen” ethische Begriffe für die Handlung sind, für die
Verwirklichung des Ideals.
Ich halte hier ein, wartend auf Ihren Bemerkungen über diesen oder anderen möglichen Punkten, und auch, natürlich, auf den Beiträgen von allen, die mit uns in diesen Reflexionen eintreten möchten.

Mit meinen besten Grüßen
Andrea Poma

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On 28/06/2013 20:00, Hans Martin Dober wrote:

Lieber Herr Poma,

haben Sie vielen Dank für Ihren Brief und die herausfordernden Fragen. Ja, es ist schwer, Cohen und Freud zu vergleichen oder miteinander in ein Gespräch zu bringen. Lassen Sie mich damit beginnen, dass ich zugestehe und festhalte: Cohen und Freud denken auf unterschiedlichen geistigen Kontinenten, zwischen denen es keine Brücke zu geben scheint. Cohen ist im besten Sinne Platoniker, der die Phänomene im Licht der Idee wahrzunehmen und zu erkennen sich müht. Und diesen idealistischen Platonismus hat er dann modern transformiert in Kants Philosophie wiedererkannt. Das ist der Boden, auf dem er selbst philosophisch steht, auch wenn sein viel verhandelter „Neukantianismus“ sich an vielen Stellen auch recht weit von Kant entfernt. Die für ihn weithin unproblematische Grundvoraussetzung ist die Tatsache des Bewusstseins – nur im Gebetskapitel des Spätwerkes habe ich Stellen gefunden, die davon zeugen, dass es für Cohen auch so etwas wie einen Untergrund des Bewusstseins zu geben scheint, wenigstens in der Metaphorik, die er verwendet, wenn er schreibt: „Der Schacht des eigenen Inneren muss ausgegraben werden, wenn das Ich in seiner neuen freien Selbständigkeit und Reinheit erstehen soll.“ (RV, 433) Insgesamt wird man Cohens Ansatz einen transzendentalen nennen können.

Demgegenüber bestreitet Freud die Ursprünglichkeit des Bewusstseins. Es ist für ihn ein Epiphänomen, das gewissermaßen über den Tiefen des Unbewussten schwebt. Es ist klar, dass die Annahme eines Unbewussten schon zu Freuds Zeit alles andere als selbstverständlich war. Bis in die späten „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ war er bemüht, diese hypothetische Annahme durch eine ganze Fülle von empirischen Belegen – vor allem aus der Traumanalyse – zu stützen. Zudem: Wenn das Bewusstsein nur ein Epiphänomen ist, dann kommt auch dem Ideal oder gar einem solchen gedanklichen Wesen wie der „Idee“ nur eine funktionale Bedeutung zu: funktional für die kulturelle Entwicklung, die insgesamt auf psychischen Leistungen wie vor allem der Sublimierung beruht, die ihrerseits aber hoch ambivalent sind, ruft doch eine zu starke Ausbildung der normativen Ebene in der bürgerlichen Gesellschaft (im Individuum des „Über-Ich“) auch ein „Unbehagen in der Kultur“ hervor, von dem der Arzt Freud dann in den psychischen Krankheitsbildern die Quittung präsentiert wurde. Das ist in der Tat ein empirischer Ansatz im Rahmen einer allgemeinen Kulturtheorie, die zudem die – gewiss problematische – Voraussetzung einer stufenweisen Entwicklung bis zum wissenschaftlichen Weltbild macht (hierbei weitgehend Auguste Comte folgend).

Auf diesen grundlegenden Unterschied im Typus des Denkansatzes lässt sich dann ohne weiteres ein anderer (und nicht nur dieser) beziehen. Während Cohen keine Gelegenheit versäumt, die Gefahr eines „Eudämonismus“ abzuwehren (bis hin zu seiner berühmten Kritik des Zionismus: „die Kerls wollen glücklich sein“), ist für Freud bis 1920 das Lustprinzip die Elementarkraft der Seele – das Lustprinzip wirkt sich bis in die höchsten Formen der Sublimierung aus. Denn insgesamt ist ihm der Mensch „ein ‚unermüdlicher Lustsucher‘“ (StA IV, 120 [Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten]). Ähnlich wie schon Nietzsche vor ihm sucht Freud auch die Moralität bzw. die kulturelle Sphäre der Sittlichkeit aus den verschlungenen Wegen zu verstehen, die die verdrängte, verschobene, zensierte Libido genommen hat, um letztlich der Selbsterhaltung zu dienen. Hier folgt Freud sicher dem mainstream der neuzeitlichen Philosophie, die die Freiheit des Menschen zu sich selbst mit dem Konzept der Selbsterhaltung kombinierte (und hierbei wichtige Aspekte ausschloss, die nicht zuletzt die jüdische Philosophie der Moderne von Cohen bis Lévinas in Auseinandersetzung mit talmudischer Tradition wieder zur Geltung brachte).

Noch tiefer scheint die Differenz zwischen Freud und Cohen zu reichen, wenn man sie auf die Frage nach der Bestimmung des Menschen bezieht. Wenn ich Cohen recht verstehe, ist ihm nach der Entdeckung der Idee bei Platon und nach der modernen Transformation dieses Platonismus bei Kant die Bestimmung des Menschen zu autonomer Freiheit einerseits, zur treuen und ausdauernden Orientierung am als wahr erkannten Ideal andererseits zwar hypothetisch – und als Hypothese immer wieder neu zu verifizieren – , aber dieser (theoretische) Verifikationsprozess (nicht der praktische) folgt derart eingespielten Bahnen, dass er eigentlich nicht erschütterlich scheint. Hier muss man sicher die Entdeckungen der Spätphilosophie einbeziehen, die die Individualität des Individuums und das Mitleid dem anderen Menschen gegenüber betreffen. Auch finden sich gerade in der RV auch solche Stellen, die von Erschütterungen der grundlegenden Überzeugungen aus praktischer Erfahrung zeugen (nicht zuletzt im Gebetskapitel). Theoretisch aber scheint die Bestimmung des Menschen festzustehen.

Anders bei Freud, wenn ich ihn (hier mit Walter Bernet) recht verstehe. Für Freud ist der Mensch „die unbekannte Größe schlechthin. Man weiß viel über ihn, aber alles Wissen definiert ihn nicht … Schon ganz früh ist Freud der Ansicht, dass der Mensch prinzipiell nicht definierbar und gerade darin das interessanteste Phänomen ist.“ Freud gelangt „zu keinen definitorischen Formeln, er gelangt aber zu einer nie sich abschließenden Beschreibung von Entwicklungen, Lebensprozessen, von einer Geschichte, in der der Mensch erst Mensch wird … Das Werk, das stets zu tun die Erfahrung ihn nötigt, ist nicht auf ein von außen an ihn herantretendes Ziel orientiert. Das Werk … ist vielmehr das Material, mit dem er sein Erfahren und damit seinen Lebensvollzug … artikuliert“ (Bernet, Gebet, Stuttgart 1970, 70f.).

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Cohen und Freud gehen in der Tat von sehr unterschiedlichen Voraussetzungen aus an die Phänomene heran. Es geht mir nicht um eine Harmonisierung zweier sehr unterschiedlicher Denk-Systeme. Ihre Frage aber ist (wenn ich recht verstanden habe), ob es noch die gleichen Phänomene sind, wenn sie in einem anderen Deutungsrahmen anders bestimmt werden. Hier optiere ich anders als Sie, wie mir scheint.

Denn der Humor ist, wie Freud gezeigt hat, ein differenziertes Phänomen, das recht unterschiedliche Formen kennt. Es gibt humorvolle Witze und komischen Humor. Überhaupt ist die Komik der Bereich, an den Freud anschließt, um dann aber das Spezifikum des Humors herauszuarbeiten. Während die Komik das Peinliche darstellt, um darüber lachen zu können, erspart sich der Humor den Affekt des Peinlichen. Doch der Humor richtet sich nicht nur auf diesen Affekt, sondern auch auf „Mitleid, Ärger, Schmerz, Rührung usw.“ (Freud [Der Witz, 216]) „Den kleinen Humor, den wir etwa selbst in unserem Leben aufbringen, produzieren wir in der Regel auf Kosten des Ärgers, anstatt uns zu ärgern.“ Insofern geht seine „psychische Leistung“ über das Ausleben der „komischen Lust“ hinaus. Es ist eine Leistung, die der humorvolle Mensch für sich selbst erbringen kann – der Humor kann selbstgenügsam sein, eine private Form der Verwindung gewissermaßen. Komische Lust erfüllt sich aber vor einem Publikum. Darin ist die Komik dem Witz verwandt, eine seiner Formen.
D.h. nicht, dass nicht auch der Humor auf dem Witz aufsitzen kann. Freud zeigt das anhand seines Beispiels vom Galgenhumor: „Na, diese Woche fängt gut an.“ Dieser Witz erfüllt sich gewissermaßen in der Selbstbezüglichkeit des Humors dessen, der hier zur Exekution geführt wird. Er mag andere zum Lachen bringen, braucht die anderen aber nicht zu dem Zweck, sich selbst über den Schrecken der Situation hinwegsetzen zu können.
Doch auch der Humor kann anstecken, auf andere wirken. Freud unterscheidet „Empfänger“ und „Schöpfer des Humors“. Der Unterschied zu Witz und Komik, die nicht selten auf Kosten des Schadens anderer – etwa durch Bloßstellung – funktionieren, liegt darin, dass auch der Empfänger des Humors auf die Verwindung seiner eigenen Affekte aus ist: er ahmt den Schöpfer des Humors nach (Der Witz, 216).
Wenn es nun stimmt, dass der Humor die unterschiedlichen Formen des Witzes und der Komik veredelt: sollte es dann nicht auch einen Humor geben können, der der Ironie aufsitzt und mit ihr ebenso verfährt? Diese muss nicht romantisch sein – obwohl gegen die romantische Ironie als Reflexionsmedium gar nicht so viel zu sagen ist. Es reicht vielleicht schon aus, die Ironie aus ihrem verfremdenden Charakter zu begreifen. Verfremdend ist sie auf den unterschiedlichen Wegen der Negation, der Behauptung des Gegenteils (auch der Rechtfertigung des Fragments gegen die Ansprüche des Ganzen), der Unterbrechung, der Übertreibung, der Übersteigerung. Ich zweifle, ob es hilfreich ist, dieses Verständnis von Ironie im Sinne einer „Verachtung des Endlichen“ zuzuspitzen, wie Sie (mit Bezug auf Cohen) schreiben.

So benannte Ironie spielt allerdings bei Freud kaum eine Rolle – und auch bei Cohen habe ich nur einige Stellen gefunden. Im Abschnitt über Mozart kommt die Ironie als „Zug des künstlerischen Humors“ vor– sie „hebt das Kleine hervor“ (Werke 9, 192). Es scheint eine Frage des Stils zu sein, bei welchem Künstler (und vor allem: wie) Ironie in den Humor gemischt ist. Von Heines Ironie hält Cohen recht wenig – sie „kichert zwischen den Zeilen, während der Inhalt oft so schön und so rein ist“. So verrate sich „die mangelhafte Reinheit in der Ironie“ (48). Sie breche „aus dem Werke selbst ohne den Willen des Künstlers“ hervor – im Freud’schen Sinne „unbewusst“ also? Dann hätte sich hier bei Cohen selbst ein psychologisches Erklärungsmoment in seinen ästhetischen Diskurs eingeschlichen. Und man müsste andere als ästhetische Kriterien in Anschlag bringen, um derartige Phänomene – psychologisch – zu deuten. Das tut Cohen selbst, schreibt er doch: Die Ironie Heines sei „das psychologische Symptom seines Unvermögens“ (49).

Mit einer solchen Wertung hätte sich Freud allerdings nicht abgefunden, und auch ich habe Schwierigkeiten damit. Zudem: Warum eigentlich soll die Ironie eine Beziehung zum Unbewussten haben, der Humor jedoch nicht? Müsste man nicht auch den Humor als ein „psychologisches Symptom“ deuten können? Freud hat das unternommen, und m.E. kann man nicht einfach hinter den hier erreichten Stand der Erkenntnis zurückgehen. Im Übrigen gesteht Cohen jedenfalls das durchaus individuelle Moment zu, das es ihm erlaubt, in seiner Besprechung von Shakespeare und Mozart unterschiedliche „Gleichgewichte“ von Humor und Erhabenem herauszuarbeiten. Und das Individuelle hat immer eine psychische Signatur.

Für mich hat Freud einen Weg eröffnet, um einerseits das ästhetische Anliegen Cohens aufrecht zu erhalten, andererseits aber seine problematischen Wertungen auf sich beruhen zu lassen. Die Ästhetik ist für mich nicht nur die Sphäre, in der der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit ausgetragen wird. Es kommt in ihr auch das Menschliche zur Darstellung, wie es nun einmal ist. Und dazu gehören unter den „psychologischen Symptomen“ auch die Affekte, die sich in Ironie äußern. Dass der Humor höher steht als die Ironie, oder m.a.W. eine größere „psychische Leistung“ ist, gesteht auch Freud ohne weiteres zu. Deswegen muss die Ironie aber nicht „ein bedenkliches Surrogat des Humors“ (Cohen, Werke 9, 28) sein – „bedenklich“ scheint hier ja ein moralisches Urteil zu sein. Ob einer mehr Humor hat oder mehr Ironie, hängt immer auch mit seiner individuellen Lebensgeschichte zusammen, die – wie gesagt – psychische Signaturen hat. Im Übrigen kann Cohen auch anders als in solchem für mich nicht mehr nachvollziehbarem Moralismus von der Ironie handeln, wenn er sie als einen „vornehmlichen Zug des künstlerischen Humors“ bei Mozart bezeichnet, „welche das Kleine hervorhebt“ (Werke 9, 192). Das gefällt mir sehr gut. Und dieser Aspekt ließe sich gegen Ihre Anfrage stark machen, ob Freud den Humor nicht als Ironie verstanden habe. Kann man nicht den Humor im Sinne Freuds (wie im Sinne von Cohens Mozart-Interpretation) als eine Veredelung der Ironie zu verteidigen, die dann durchaus wichtige Funktionen behalten kann? So triumphiert nicht mehr die immer spitze Ironie gegen den befriedenden Humor, sondern umgekehrt: der befriedende Humor sitzt auf der Ironie auf, um sie zu bändigen.

Cohen und Freud beschreiben auf sehr unterschiedliche Weise das gleiche Phänomen (davon gehe ich aus). Und beide verifizieren ihre Auffassungen vom Humor anhand von Werken der Kunst, und d.h. im Medium der Ästhetik. Jedoch: Es ist auffällig, dass Cohen den Humor (mit einem starken Schwerpunkt) in den Werken der Bildenden Künste und der Musik aufsucht (was den von Ihnen erinnerten Bestimmungen des Verhältnisses zum Erhabenen geschuldet scheint), nicht aber primär im Medium der Sprache (wie Freud) – der kritische Bezug auf Heine macht hier ebenso eine Ausnahme wie der würdigende Bezug auf das Drama Shakespeares. Doch auch Freud handelt vom „ästhetischen Humor“ (Cohen), wenngleich er andere Beispiele wählt als Cohen (Mark Twain, Simplizissimus). Doch könnte man die Portraits von Rembrandt, die bei Cohen eine große Rolle spielen, nicht – Cohen ergänzend – mit Freud weiter deuten? Diese gezeichneten, ein wenig in sich gekehrten, doch irgendwie Frieden mit sich selbst ausstrahlenden Gesichter – zeugen sie nicht auch von der „höchsten psychischen Leistung“, die Freud dem Humor zuerkennt? Auch so verstanden wäre der Humor eine spezifische Spielart des Erhabenen, das allerdings nur als gelebte Individualität möglich ist. Erhaben ist das Bild des Menschen, der sein Schicksal durchlebt, auch durchlitten hat, von ihm gezeichnet ist, und sich ihm doch nicht völlig unterworfen hat: „Mitleid, Ärger, Schmerz, Rührung usw.“ (Freud) hat dieser Mensch verwunden durch Humor. Wenn man den Zugang beider auf die gleichen Phänomene in den Blick nimmt, hier des Humors, dann fallen jedenfalls Übereinstimmungen – und mögliche Ergänzungen – auf. Beides freilich immer auf dem Hintergrund der skizzierten Differenz. Darauf möchte ich noch etwas eingehen, um Ihrem Hinweis auf das Streben nach Unendlichem zu folgen, der sich im Erhabenen äußert.

Cohen schreibt: „Die Reinheit des Gefühls kann nicht zusammenfallen mit der Bitterkeit des Ringens und etwa des Entsagens; es muss ihr beigemischt sein die Ahnung, die Gewissheit der Ahnung eines Gelingens, eines Genügens – einer Vollendung. Das ist die Natur im Humor.“ (Werke 8, 278)
So konnte und wollte Freud nicht mehr schreiben. Aufgrund der empirischen Anlage seines Denkens anerkennt er die apriorische Formel der „Reinheit des Gefühls“ nicht. Gefühle sind ihm immer zusammengesetzt aus psychischen „Energien“, die sich auf verschlungenen Wegen mischen, und verschlüsselt zum Ausdruck bringen. Und die „Ahnung eines Gelingens“, gar einer „Vollendung“ ist bei ihm in den „Trotz“ verflüchtigt (im Sinne von „ich lasse mich nicht kleinkriegen“). Es geht ihm um die Stabilisierung des Ichs als psychisches Zentrum in einem dynamischen Kräftefeld von Trieben, Neigungen, Affekten etc. Von einer – gewissermaßen messianischen – Vollendung idealistischer Vorgaben hat er Abstand genommen. Viel bescheidener, schwächer im Anspruch geht es ihm um Selbstbehauptung im Kampf der „Giganten“ Eros und Thanatos, der Schicksalsmächte, die in jeder menschlichen Seele miteinander streiten. Diese Differenz ist elementar und könnte in der Tat dazu verleiten, von weiteren Bemühungen Abstand zu nehmen, Freud und Cohen überhaupt in ein Gespräch bringen zu wollen, das so nie stattgefunden hat.

Und doch interessieren sich beide für das gleiche Phänomen. Diese übereinstimmende Intensität fällt auf. Beide haben im Humor etwas gefunden, was sie nicht loslässt. Sie bewundern den Humor in den Werken der Kunst und an den humorvollen Menschen, die sie kennen. Humor ist ihnen ein Kennzeichen echter, hoch entwickelter Humanität. Ist das nicht eine ausreichend große gemeinsame Ebene – bei und trotz aller Differenz – , um danach zu fragen, ob sich die Beobachtungen und Analysen nicht zum Zweck eines vertieften Verständnisses des Phänomens ergänzen lassen? Vielleicht muss man von der „Härte des Daseins“ (Freud) ausgehen – entsprechend bei Cohen von der „Bitterkeit des Ringens und etwa des Entsagens“ – , um die Leistung des Humors in den Blick zu bekommen, die beide so sehr interessierte. Frieden ist das „Feldzeichen des Humors“ (Werke 8, 279), der Friede der menschlichen Seele mit sich selbst, ihre Ausgeglichenheit: ist das nicht die gemeinsame Ebene? Es geht um einen Frieden, in dem der Mensch durch den Humor „zu einem bessern Gefühl bekehrt“ wird (284) – Freud spricht von „erspartem Affektaufwand“ und meint damit doch etwas ganz Ähnliches.

Weiter: Man kann die These vertreten, dass beide – Cohen und Freud – von der Überzeugung des Aristoteles ausgehen, der Mensch sei ein „zoon logon echon“. Cohen interpretiert diese Formel dadurch, dass er zwei „Grenzen der Natur im Menschen“ unterscheidet – die obere, die von dem Göttlichen eingenommen wird, und die untere, die durch das „Animalische im Menschen“ bestimmt ist (279). Es besteht eine stete Spannung zwischen beiden. Freud hat diese Anthropologie in sein psychologisches Modell integriert, und die obere Sphäre hierbei von allem „Göttlichen“ erleichtert: es gibt nur noch endliche, geschichtliche, menschliche und weltliche Verhältnisse, die seelisch im Kräftefeld zwischen Überich und Es repräsentiert sind. Das Unendliche fällt aus – deshalb hat Freud auch kein „ozeanisches Gefühl“ anerkannt, was ja etwas Ähnliches ist wie Schleiermachers „Gefühl des Unendlichen“. Ja, man könnte vielleicht sagen (und das würde Ihre Vermutung bestätigen), dass Freud vom Übersinnlichen nur noch ironisch handeln kann (vgl. Cohen, Werke 8, 313). Doch Cohen selbst vermag in der christlichen Darstellung des Gottessohnes Ironie zu empfinden, wenn „der Gott als Kind auf dem Schoße der Mutter ruht, und von ihm aus den bezwingenden Blick auf die Welt richtet“. Die Darstellung von Maria mit dem Jesuskind in der Kunst scheint ihm selbst „Ironie des Übersinnlichen“ zu sein. Dem ist dann religiös selbst nur mit Humor zu begegnen.

Welchen Erkenntnisfortschritt soll es nun haben können, diese unterschiedlichen Ansätze zu vergleichen? Mein Versuch ist es, den apriorischen Ansatz Cohens, dessen Idealismus, auf die Empirie Freuds zu beziehen – und vice versa. Denn mit Hilfe von Freud kann man die Spuren im Werk Cohens, die auf psychische Erfahrung verweisen, überhaupt erst als solche entdecken, um ihnen eine mögliche weitere Erklärung anzubieten. Und mit Hilfe von Cohen kann man die Grenzen des psychoanalytischen Denkens von Freud prägnant aufzeigen, wie sie etwa im Begriff des Ich liegen, oder im Begriff der Idee, oder in der ethischen Bestimmung des Handelns, oder – nicht zuletzt – in den Hoffnungen der Religion, die über die mythischen Anleihen des Freud‘schen Denkens weit hinausreichen. Meine kritische Frage an Freud lautet, ob sein die Bestimmung des Menschen derart relativierendes Denken von seiner eigenen Anlage aus die Orientierungskraft aufbringt, mit der „Bitterkeit des Ringens und etwa des Entsagens“ optimistisch umzugehen. Dazu braucht es ein starkes Ich mit ebenso starken Idealen. Noch einmal anders: Dazu braucht es ein starkes Ich, das sich die „Einheit seines Bewusstseins“ (Cohen) bewahrt. Vielleicht kann man so weit gehen zu sagen: Jeweils lässt sich die abgeschattete Seite im System des andern beleuchten – bei Freud die Frage nach ethischer Orientierung, die faktisch in seinem Lebenswerk eine wichtige Rolle gespielt hat, m.W. aber nicht näher thematisiert worden ist; bei Cohen der empirisch-psychische Zusammenhang menschlicher Erfahrung, der immer wieder vorausgesetzt, als solcher aber nicht Thema geworden ist.

Nun habe ich doch mehr geschrieben, als ich hatte schreiben wollen. Aber Ihre Fragen haben mich genötigt, einigermaßen weit auszuholen. Für heute genug – die Frage nach dem Verhältnis von Humor und Ironie zur Endlichkeit müsste noch weiter bedacht werden; ich stelle sie aber zurück.

Auf Ihre Antwort wartet gespannt mit den besten Grüßen

Ihr Hans Martin Dober

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On 04-06-2013 Andrea Poma wrote:

Lieber Herr Dober,

Ich danke Ihnen sehr fuer Ihren Brief. Ich habe viel ueber Freud gelernt. Ueber Cohen haette ich noch etwas zu diskutieren, z.B. bin ich nicht einverstanden, dass fuer Cohen das Bewusstsein eine "Tatsache" und eine "Grundvoraussetzung" sei. Auch in Beziehung mit den Kategorien des Humors, des Komischen, der Ironie, usw. sollte man, meiner Meinung nach, viel mehr Klarheit ueber die Verschidenheit zwischen Cohen und Freud stellen.

Aber unseres Ziel war zuerst eine Diskussion in dem web-site der Cohen Gesellschaft anzufangen. So habe ich auch mit Reinier Munk gesprochen, und wir sind einverstanden, dass es besser waere sofort Ihre este mail, meine Antwort und Ihre Replik ins Internet stellen, so dass Alle an der Diskussion teilnehmen koennen. Ich hoffe, dass Sie einverstanden sind.

Wir koennen immer weiter unseren Dialog weiterfuehren.

Mit meinen besten Gruessen
Andrea Poma

Contact: info [at] hermann-cohen-gesellschaft.org